Poesie- und Klangwelt aus dem Schiffsbauch
- transpoesisafrica
- 22. Juni
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Aktualisiert: 26. Juni

Die Lyrikerin Nora Gomringer liest an einem warmen Sommerabend in der Wasserkirche in Zürich mit dem Duo-Partner Philipp Scholz. Als kühlende Erfrischung geht es um den Regen: «Here comes the rain again» ist der Titel der Performance, «Texte zu Wasser und Werden, Wal- und Tintenfische». Der Titel ist vom britischen Pop-Duo «Eurythmics» geborgen.
In der Wasserkirche steht diese Tage ein Schiff. Die «Arche 2.0» soll ein Symbol für einen neuen Anfang sein, ein Hoffnungsanker in Zeiten der Unruhe und Perspektivenlosigkeit.
In Schiffsbauch finden an diesem Abend nicht «immer zwei, immer zwei» von einer Tierart Platz, sondern das Publikum des Anlasses auf Stufen sitzend. Die Veranstaltung ist Teil der Eventreihe anlässlich der Veröffentlichung von «Es wird Liecht» (eine Transkription des Alten Testaments der Züricher Bibel). In der Kirche ist es warm und es riecht nach Holz. Mit Schwimmbrillen betreten die Künstler die Bühne, das Innere vom Schiff. Philipp Scholz zaubert eine Klangwelt von sinnlicher Sanftheit zu den Texten, die Nora Gomringer liest.
Gleich zu Beginn, der Überdruss von Gott, ab dem, was aus den Menschen geworden ist. Im Regen soll seine Kreation untergehen, während dem «immer zwei» von jeder Art, «immer zwei» von jeder Art, Zuflucht finden auf der Arche Noas.
Auch im Gedicht Teredo Navalis geht es um ein Schiff: «In Stockholm, wo man in den 60er Jahren ein Schiff, der 1600er barg». Im 16 Jahrhundert ging das Schiff bei seiner Jungfernfahrt unter. Bei der Bergung in den 60er Jahren fand man den Schuldigen, ein Schiffsbohrwurm, mit dem Namen Teredo Navalis: «Teredo Navalis –Schiffsbohrwurm von bis zu 60 Zentimetern Länge.» Im Gedicht von Nora Gomringer wurmt auch im Menschsein verankert, das Gefühl der Eifersucht «Hatte nicht einer Steine mir in den Bauch genäht, als ich offen klaffte vor Eifersucht?».
Das Seegespenst von Heinrich Heine wie auch ein Tiefseetauchgang aus dem Buch Die Zone von Mireille Zindel ziehen die Zuhörer in tiefe Gewässer.
Gegen Schluss liest Gomringer einen Brief der Bürgermeisterin von Lampeduse «Die Schande Europas» (2021), eine Ehrerweisung an die Ertrunkenen, eine Stimme gegen die Gleichgültigkeit: «Wenn Europa aber so tut, als seien dies nur unsere Toten, dann möchte ich für jeden Ertrunken, der mir übergeben wird, ein offizielles Beileidstelegramm erhalten.»
Der Abend schliesst mit «das All – eine Muschel» von William Wordsworth , der von einem zerknitterten Papier gelesen wird, in der anderen Hand eine grossen Muschel, das Rauschen des Meeres am Ohr der Dichterin.
Ob das Holzschiff, in dem ich im Publikum sitze, seetauglich wäre, frage ich mich beim Zuhören. Ich sehe einige kleine Löcher in den Schiffswänden. Ob da wohl auch der Schiffsbohrwurm drin ist, oder ob Gott, aus Überdruss an seiner Kreation, erneut nur noch «immer zwei, immer zwei» Tiere über die Sinnflut hinweg, bewahren möchte?
Vielleicht ist es ab der neuen Schande an so manchen Orten dieser Welt für die Menschheit besonders dringlich «Es werde liecht» nicht nur zu lesen, sondern auch zu Leben.
Gewiss ist,
dass Nora Gomringer und Philipp Scholz an diesem Abend ein sanftes und gleichzeitig kraftvolles Licht vom Schiffsbauch in die Welt hinaustragen.
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